Art Text
Themen

Deutschland

Hank Biewald
Perthes-Gymnasium Friedrichroda
Gefällt mir 3827 Gefällt 3827 Mal
767 Aufrufe

Vom Stahlhammer zum Kult-Moped: Die spannende Geschichte der Simson-Werke

Seit 900 Jahren gibt es jüdisches Leben in Thüringen. Doch abgesehen von antisemitischen Ausschreitungen bekommen wir Thüringer relativ wenig von der Anwesenheit jüdischer Mitmenschen mit. Ein gutes Beispiel ist das Unternehmen Simson. Mit dem Judentum würden es die meisten Simson-Besitzer und -Fans vermutlich nicht in Verbindung bringen. Dabei ist die Geschichte der jüdischen Familie, die das Unternehmen gründete und über lange Zeit leitete, interessant und von unerwarteten Wendungen geprägt. 

Simson war ein Waffen- und Fahrzeughersteller, der 1856 von den jüdischen Brüdern Löb und Moses Simson in Suhl gegründet wurde. Bekanntheit erlangte die Firma mit Mopeds, die zu DDR-Zeiten in großen Mengen hergestellt wurden. Mit knapp 6 Millionen produzierten Krafträdern ist Simson bis heute der größte Zweiradhersteller Deutschlands, obwohl die Produktion seit fast 20 Jahren stillsteht. 

Löb und Moses Simson wachsen in wohlhabenden Verhältnissen auf. Ihr Vater handelt mit Stoffen, Tüchern, Betten und Kleidung und verleiht Geld. Nach seinem Tod hinterlässt er seinen Söhnen ein großes Vermögen von ca. 12 000 Reichstalern. (Zum Vergleich: Das Wohnhaus von Moses Simson kostete ca. 800 Reichstaler.) Löb und Moses sind als Händler tätig und erwerben nach der Emanzipation der Juden Unternehmensanteile und Immobilien, darunter auch ein Drittel des „Alten Stahlhammers“ in Suhl. Kurze Zeit später besitzen sie bereits die Hälfte dieses Unternehmens, das 1866 komplett in den Besitz der Brüder übergeht. Auf dem Firmengelände errichten Löb und Moses eine Bajonett- und Ladestockfabrik, die sich zu einem wichtigen Zulieferer für die Waffenproduktion in Suhl entwickelt. Ein paar Jahre später ist Simson in der Lage, vollständige Gewehre herzustellen, bevor die Produktion von Waffen wegen schlechter Qualität eingestellt wird. 

Als Moses Simson stirbt, wird das Unternehmen von dessen Familie weitergeführt. 1883 erwirbt die Familie die Porzellanmanufaktur Gotha, um dort Hotel- und Küchenporzellan zu produzieren. Das Unternehmen Simson zählt 1896, nach einer Erweiterung der Produktpalette, zu den größten Fahrradherstellern Deutschlands. Mit dem Simson Supra wird der erste und bekannteste PKW von Simson entwickelt. Von dem Sportwagen wurden mehrere Baureihen produziert, bis die Produktion 1934 eingestellt wurde. Das Fahrzeug, das auch im Rennsport erfolgreich war, ist heute sehr selten und kann im Fahrzeugmuseum Dresden besichtigt werden. 

Mit 1500 Angestellten ist Simson Anfang des 20. Jahrhunderts der größte Arbeitgeber in der Region. Die Kriegsjahre des Ersten Weltkrieges sind die wirtschaftlich erfolgreichsten der Simson-Werke, die die Produktion wieder auf Waffenteile umgestellt hat. 

Von den Kriegsfolgen wird der Industriebetrieb schwer getroffen. Nach wirtschaftlichen und politischen Krisen steht die Produktion vorerst still. Der Versailler Vertrag verbietet den Deutschen die Produktion von Waffen. Aufgrund der umfangreichen Produktpalette kann sich die Firma retten und plant eine Serienproduktion von Luxusautomobilen auf dem Fließband nach dem Vorbild des amerikanischen Fabrikanten Henry Ford. Diese Pläne werden jedoch nicht umgesetzt, da die Alliierten der Firma Simson – weil sie während des Ersten Weltkriegs der erste Waffenproduzent war – im Jahr 1925 als einzigem Unternehmen in Deutschland die Herstellung von Waffen erlauben. Daraus folgt, dass die Produktion wieder vollständig auf Waffen umgestellt wird. Als einziger Waffenproduzent bekommt Simson großzügige Darlehen zur Erweiterung der Fabriken. Die Weltwirtschaftskrise kann Simson deshalb ohne Schäden überstehen. Während die Firma weiterhin normal produzieren kann, gehen andere Industriebetriebe in der Umgebung Bankrott oder müssen Arbeiter entlassen. Die Folge ist, dass die Stimmung gegenüber den jüdischen Unternehmern, die vorher hohes Ansehen genossen haben, kippt. 

Die NSDAP sieht es nicht gern, dass der einzige deutsche Waffenproduzent, der allein für die Ausstattung des deutschen Militärs verantwortlich ist, in jüdischer Hand ist. Die Brüder Julius und Arthur Simson, die die Firma von ihrem Vater Moses übernommen haben, sind den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Deshalb werden Wege gesucht, die Eigentümer zu verunglimpfen. 

Dem Unternehmen wird vorgeworfen, sich durch Manipulation der Abrechnungen auf Kosten des Staates zu bereichern. Deshalb wird ein Ermittlungsverfahren gegen die Firma Simson eingeleitet. 

Um sich nicht von den Nationalsozialisten angreifbar zu machen, treffen Julius und Arthur Simson verschiedene Maßnahmen. Um den Namen „Simson“ aus der Firmenbezeichnung verschwinden zu lassen, wird das Unternehmen an die Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke GmbH verpachtet, die zivile und die militärische Produktion werden getrennt und die Leitung des Unternehmens wird einem Geschäftspartner übertragen, der kein Jude ist.  

Im Jahr 1934 werden erneute Ermittlungsverfahren gegen die Unternehmensführung und ein Gerichtsverfahren gegen Arthur Simson und einige leitende Angestellte des Unternehmens eingeleitet. Ein Jahr später endet es mit einem Schuldspruch. Arthur Simson wird zu einer Zahlung von 9,75 Millionen Reichsmark verurteilt, die er nur durch einen Verzicht auf die Firma Simson bezahlen kann. Solche Gerichtsurteile waren damals üblich, um Juden zu enteignen. 

Im Jahr 1936 flieht die Familie Simson vor den Nationalsozialisten aus Deutschland und zieht in die Schweiz. Später wandert sie in die USA aus, wo ihre Nachfahren bis heute leben. Noch im selben Jahr wird das erste motorisierte Zweirad des Herstellers gebaut.Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wird die Produktion wieder vollständig auf Waffen umgestellt. 

Nach dem Krieg wird das Unternehmen im Jahr 1952 in „VEB Fahrzeug und Gerätewerk Simson Suhl“ umbenannt, wodurch der Name der Gründer wieder in der Firmenbezeichnung zu finden ist. Die Simson-Werke spezialisieren sich auf die Produktion von Jagdwaffen, Kinderwagen und Fahrrädern, die größtenteils als Reparationen an die Sowjetunion gehen. Später stellt man die Produktion von Fahrrädern auf Motorräder um und stellt mit dem S 50 und der Schwalbe die bekanntesten Mopeds der DDR her. 

Nach der Wende soll der volkseigene Betrieb wieder privatisiert werden. Auch die Familie Simson macht ein Angebot, um die Firma zurückzukaufen, aber die Angebote der Konkurrenz sind besser. Der Anteil der Familie Simson an der Waffenproduktion kann nach so vielen Jahren nicht genau bestimmt werden und wird von Wirtschaftsprüfern der Treuhand auf 7,3% geschätzt. Die Simson-Erben erhalten eine Ausgleichszahlung von 18,5 Millionen D-Mark.  

Unter neuer Führung produziert der Betrieb günstige Mopeds und Motorräder, die sich jedoch nur schleppend verkaufen. Im Jahr 2002 wird die Produktion endgültig eingestellt und im Jahr darauf wird das gesamte Unternehmen zwangsversteigert. Den Großteil erwirbt dabei die MZA GmbH, die bis heute Ersatzteile für alte Simson-Mopeds fertigt. Das Geschäft boomt, da Mopeds in der DDR 60 km/h fahren durften, während in der BRD nur Mopeds mit einer Höchstgeschwindigkeit von  
45 km/h zugelassen sind. Da die Simson-Mopeds weit verbreitet sind und man nicht an die Langlebigkeit der Fahrzeuge glaubte, wurde im Einigungsvertrag eine Sonderregelung festgelegt, die für Simson-Mopeds mit einem Baujahr vor 1992 eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h vorsieht. 

Von den alten Mopeds wird oft nur der Rahmen mit der Plakette, die das Baujahr und somit die zulässige Höchstgeschwindigkeit nachweist, verwendet und mit ganz neuen Teilen bestückt, die von der MZA GmbH in Thüringen hergestellt werden. Dadurch kann das Unternehmen Mopeds im neuwertigen Zustand verkaufen, die 15 km/h schneller fahren dürfen als die Konkurrenz. Deshalb sind die Mopeds nach wie vor sehr beliebt und werden gern gekauft. 

  

Hank Biewald